Vimalakīrti-Sutra 11
Kapitel 11 – Die Praxis der Bodhisattvas
Zu jener Zeit sprach der Buddha im Amra-Garten in der Stadt Vaiśālī das Dharma. Plötzlich begann sich der Garten allmählich auszudehnen, und alle Anwesenden in der Versammlung wurden von einem goldenen Lichtschein eingehüllt.
Ānanda wunderte sich sehr und fragte den Buddha:
„Weltverehrter, aus welchem Grund ereignen sich diese Erscheinungen? Der Ort hier hat sich plötzlich stark vergrößert, und die ganze Versammlung ist in goldenes Licht getaucht!“
Der Buddha sprach zu Ānanda:
„Vimalakīrti und Mañjuśrī, zusammen mit der ehrfürchtig sie umgebenden Schar, beabsichtigen, hierher zu kommen. Deshalb zeigen sich nun diese entsprechenden Erscheinungen.“
Zu jener Zeit sagte Vimalakīrti zu Mañjuśrī:
„Komm, lass uns gemeinsam den Weltverehrten aufsuchen, damit die Bodhisattvas ihm Ehrerbietung erweisen und Opfergaben darbringen können.“
Mañjuśrī erwiderte:
„Ja, gehen wir! Es ist genau der rechte Zeitpunkt.“
Daraufhin wirkte Vimalakīrti sogleich mit seiner übernatürlichen Kraft und nahm die gesamte Versammlung samt ihren Löwenthronen in seine rechte Hand. Dann begab er sich zum Ort, an dem sich der Buddha aufhielt. Nachdem er angekommen war, setzte er die Versammlung sanft auf den Boden ab. Alle verneigten sich ehrerbietig vor den Füßen des Buddha, legten die Hände zum Gruß zusammen, umrundeten ihn siebenmal im Uhrzeigersinn und traten respektvoll zur Seite.
Anschließend erhoben sich alle anderen Bodhisattvas unverzüglich von ihren Sitzen, verneigten sich ebenfalls ehrerbietig vor den Füßen des Buddha, umrundeten ihn siebenmal und stellten sich dann zur Seite.
Auch die großen Schüler des Buddha, der Brahmā-König sowie der Götterkönig Śakra erhoben sich, verneigten sich vor dem Buddha und traten zur Seite.
Daraufhin begrüßte der Weltverehrte die Bodhisattvas gemäß der üblichen Etikette einzeln und bat sie, wieder Platz zu nehmen – alle bereiteten sich darauf vor, seine Lehre zu hören.
Nachdem alle ihren Platz eingenommen hatten, sprach der Buddha zu Śāriputra:
„Hast du die freiheitvolle Wunderkraft des großen Bodhisattva Vimalakīrti gesehen?“
Śāriputra antwortete: „Ich habe sie gesehen, Weltverehrter.“
Der Buddha fragte weiter: „Und was denkst du darüber?“
Śāriputra sagte: „Weltverehrter, was ich gesehen habe, ist eine unvorstellbare und außergewöhnliche Manifestation von übernatürlicher Kraft – wirklich unerwartet und tiefgründig!“
Da sprach Ānanda zum Buddha:
„Weltverehrter, hier ist ein Duft in der Luft, wie ich ihn noch nie zuvor wahrgenommen habe. Woher kommt dieser wundervolle Duft?“
Der Buddha antwortete: „Dieser Duft strömt aus den Poren der Bodhisattvas aus dem Duftland.“
Daraufhin sagte auch Śāriputra zu Ānanda:
„Auch aus unseren Poren scheint dieser Duft auszuströmen.“
Ānanda fragte:
„Wie ist es möglich, dass auch von uns dieser Duft ausgeht?“
Śāriputra antwortete:
„Der große Bodhisattva Vimalakīrti hat von dem Überfluss des Duftreises aus dem Land der Düfte, vom Buddha Gandhasamaya, etwas erhalten und in seinem Raum verzehrt. Daher verströmt nun aus allen Poren unseres Körpers dieser Duft.“
Ānanda fragte Vimalakīrti:
„Wie lange wird dieser Duft an uns haften bleiben?“
Vimalakīrti antwortete:
„Bis der Duftreis vollständig verdaut ist.“
Ānanda fragte weiter:
„Wie lange dauert es, bis dieser Duftreis verdaut ist?“
Vimalakīrti sprach:
„Die Kraft dieses Duftreises wirkt im Allgemeinen sieben Tage, dann ist er verdaut.
Aber, Ānanda:
Wenn ein Schüler, der noch nicht die Arhat-Stufe erreicht hat, diesen Duftreis isst, wird er erst dann verdaut sein, wenn er die Arhat-Stufe erreicht hat.
Wenn ein Arhat, der bereits in der rechten Verwirklichung steht, diesen Duftreis isst, wird er erst dann verdaut sein, wenn er endgültige Befreiung erlangt.
Wenn jemand, der den Entschluss zur großen Mahāyāna-Erleuchtung noch nicht gefasst hat, diesen Duftreis isst, wird er erst dann verdaut sein, wenn er den Erleuchtungsgeist (Bodhicitta) erweckt.
Wenn jemand, der bereits den Bodhicitta erweckt hat, diesen Duftreis isst, wird er erst dann verdaut sein, wenn er die Unerschütterlichkeit des Nichtentstehens (Anutpattikadharma-kṣānti) erreicht.
Wenn jemand, der diese Unerschütterlichkeit bereits erlangt hat, diesen Duftreis isst, wird er erst dann verdaut sein, wenn er zu einem, der kurz vor der Buddhaschaft steht (Ekajāti-pratibaddha), geworden ist.
So wie ein überaus wirksames Arzneimittel erst dann seine Wirkung verliert, wenn alle Krankheiten im Körper beseitigt sind, so wird auch dieser Duftreis erst dann verdaut sein, wenn alle Trübungen und Leiden des Geistes gänzlich beseitigt sind.“
Ānanda sprach zum Buddha:
„Wahrlich, noch nie habe ich so etwas erlebt, Erhabener! Dass sogar ein solcher Duftreis zur Verwirklichung der Buddha-Arbeit dienen kann!“
Der Buddha sprach:
„In der Tat, in der Tat, Ānanda!
Es gibt Buddha-Länder, in denen die Buddha-Tätigkeit durch das Licht des Tathāgata vollbracht wird.
In manchen geschieht sie durch die Gemeinschaft der Bodhisattvas.
In anderen wiederum durch vom Buddha erschaffene Erscheinungswesen.
Manche verwirklichen sie durch den Bodhi-Baum,
einige durch die Gewänder oder die Sitz- und Lagerstätten des Buddha.
Andere wiederum vollbringen Buddha-Tätigkeit durch Speisen.
Manche durch Gärten, herrliche Paläste und Aussichtsterrassen.
Andere wiederum durch die zweiunddreißig Körpermerkmale und die achtzig Nebenmerkmale des Tathāgata.
In manchen geschieht sie durch den Erscheinungskörper (Nirmāṇakāya) des Buddha,
in anderen durch das Formlose und Gestaltlose des leeren Raumes.
Für die Lebewesen werden diese Dinge zur Gelegenheit, das Verhalten nach den Geboten (Śīla) auszurichten.
Es gibt auch Länder, in denen Buddha-Tätigkeit durch Gleichnisse wie Träume, Illusionen, Schatten, Echos, Spiegelbilder, Mondspiegelungen im Wasser oder flimmernde Hitzewellen vollbracht wird.
Mancherorts geschieht sie durch Töne, Sprache oder Schriftzeichen.
Und wieder anderswo wird sie durch reine Buddha-Länder verwirklicht, durch völlige Stille, ohne Worte, ohne Belehrung, ohne Absicht, ohne Bewusstsein, ohne Tun und ohne Handlung.
Ānanda, so ist es tatsächlich:
Alle Verhaltensweisen, Bewegungen und Handlungen der Buddhas dienen einzig und allein der Verwirklichung der Buddha-Tätigkeit.“
Ānanda, es gibt Himmelsdämonen, Todesdämonen, Begierdedämonen, Dämonen der Verblendung sowie achtundvierzigtausend Arten von Toren der Verunreinigung durch Geistesgifte, durch die die Wesen verwirrt und gequält werden.
Doch auch all diese Erscheinungen dienen den Buddhas zur Vollbringung ihrer Buddha-Tätigkeit.
Diese Praxis nennt man das ‚Eintreten in alle Dharma-Tore der Buddhas‘.
Ein Bodhisattva, der diesen Weg praktiziert,
soll – wenn er reine Buddha-Länder erblickt –
nicht stolz werden,
nicht daran anhaften,
nicht überheblich sein.
Wenn er unreine, von Makeln behaftete Buddha-Länder sieht,
soll er deswegen nicht bekümmert sein,
nicht den Mut verlieren,
nicht davon ablassen.
Er soll den Taten der Buddhas mit einem reinen Herzen begegnen,
mit freudigem Geist,
mit ehrerbietigem Sinn,
sie lobpreisen als etwas noch nie Dagewesenes,
verstehen, dass dies Ausdruck der gleichen Verdienste und Tugenden aller Buddhas und Tathāgatas ist,
und erkennen,
dass das Erscheinen reiner wie unreiner Buddha-Länder nur dem Zweck dient, die fühlenden Wesen zu belehren und zu führen.“
Ānanda! Sieh nur – die einzelnen Buddha-Länder besitzen verschiedene Arten von Erdböden, doch der Raum selbst unterscheidet sich darin nicht.
Genauso ist es auch mit den verschiedenen farblichen Erscheinungen der Buddha-Körper: Sie mögen verschieden sein,
doch ihre ungehinderte Weisheit kennt keinerlei Unterschiede.
Ānanda, die vielen Erscheinungsformen der Buddhas – ihre Körper, ihre majestätischen Merkmale, ihre Herkunft und Abstammung, ihre sittliche Disziplin, ihre Versenkung, ihre Weisheit, ihre Befreiung und das Wissen um die Befreiung, ihre zehn Kräfte, die vier Furchtlosigkeiten, die achtzehn Besonderheiten, ihre große Güte und ihr großes Mitgefühl, ihr Verhalten und Auftreten, ihre Lebensdauer in der Welt, ihre Lehre und Belehrung, ihre Fähigkeit, fühlende Wesen zu verwandeln und ihre Buddha-Länder zu reinigen –
obwohl all diese Dharmas in Erscheinung verschieden sind,
sind sie im Wesen vollkommen gleich.
Deshalb wird ein Buddha auch „der Allwissende“,
„der Tathāgata“
oder „der vollkommen Erwachte“ genannt.
Ānanda, wenn ich die umfassende Bedeutung dieser drei Bezeichnungen im Einzelnen erläutern wollte,
so würdest selbst du – mit einer Lebensspanne von einem ganzen Kalpa – sie kaum gänzlich verstehen können.
Und selbst wenn es in den Drei-Tausend-Großen-Tausend-Welten ebenso viele Wesen gäbe wie du,
alle genauso wissensreich wie du, Ānanda – dem Ersten im Hören und Erinnern –,
und alle wären mit der Kraft der vollständigen Erinnerung (dhāraṇī) ausgestattet
und hätten ebenfalls eine Kalpa lange Lebensspanne:
auch dann könnten sie gemeinsam die volle Bedeutung nicht vollständig erfassen.
Ja, Ānanda, so ist es wirklich:
Die höchste, gleichsame Erwachung aller Buddhas kennt keine Grenzen und kein Ende.
Ihre Weisheit und ihre Redekunst sind wahrlich unergründlich!“
Ānanda sprach zum Buddha:
„Von nun an wage ich es nicht mehr, mich selbst als den ‚Ersten im Vielhören‘ zu bezeichnen.“
Der Buddha sprach zu Ānanda:
„Hege keine rückschrittlichen Gedanken, Ānanda.
Warum? Weil ich sagte, dass du unter den Śrāvakas (Hörern) der Erste im Vielhören bist,
nicht aber unter den großen Bodhisattvas.
So lass ab von solchen Gedanken des Rückzugs, Ānanda!
Denn die übernatürlichen Kräfte der Weisen (der Arhats) haben ihre Grenzen –
sie sind nicht mit jenen der Bodhisattvas zu vergleichen.
Denn, Ānanda, selbst große Ozeane und tiefe Abgründe kann man noch ausmessen,
doch die Versenkung und Weisheit der Bodhisattvas,
ihre Kräfte der Erinnerung (Dhāraṇī) und ihre ungehinderte Beredsamkeit –
all diese Verdienste sind wahrlich unergründlich.
Ānanda, ihr Arhats solltet vorerst davon absehen,
die Taten der Bodhisattvas nachzuahmen.
Wenn ihr meint, einem Bodhisattva wie Vimalakīrti gleichen zu können,
der in einem einzigen Moment unfassbare übernatürliche Kräfte offenbart –
dann sage ich euch: Selbst wenn alle Śrāvakas und Pratyekabuddhas
hunderttausend Äonen aufwenden würden,
um seine Wundertaten zu erlernen,
so könnten sie es doch niemals erreichen!“
Zu dieser Zeit sprachen alle Bodhisattvas aus dem Duftland mit gefalteten Händen ehrfürchtig zum Buddha:
„Weltverehrter, als wir eben im Saha-Welt erscheinen durften,
hatten wir zunächst Gedanken des Hochmuts und der Geringschätzung.
Doch nun bereuen wir das zutiefst und haben jene falschen Gedanken abgelegt.
Warum?
Weil wir nun die unermesslichen geschickten Mittel (upāya) der Buddhas verstanden haben –
wie sie auf unvorstellbare Weise
je nach den Fähigkeiten der fühlenden Wesen
verschiedene Buddha-Länder erscheinen lassen,
um sie zu befreien.
Doch trotzdem, Weltverehrter,
bitten wir euch demütig, uns einige wunderbare Lehren zu gewähren,
damit wir, wenn wir ins Duftland zurückkehren,
dieses Tathāgata-Land mit steter Dankbarkeit und Erinnerung im Herzen tragen können.“
Da sprach der Buddha zu den Bodhisattvas aus dem Duftland:
„Es gibt zwei Arten von Toren zur Befreiung – das Tor der begrenzten Befreiung und das Tor der unbegrenzten Befreiung.
Diese solltet ihr sorgfältig erlernen.
Was bedeutet ‚begrenzt‘? Es bezieht sich auf die bedingten (wirksam entstandenen) Dharmas (saṃskṛta-dharma).
Was bedeutet ‚unbegrenzt‘? Es bezieht sich auf die unbedingten Dharmas (asaṃskṛta-dharma).
Ein Bodhisattva des Mahāyāna jedoch verwirft nicht die bedingten Dharmas,
und haftet auch nicht an den unbedingten Dharmas.
Was bedeutet ‚nicht begrenzen das Bedingte‘?
Es heißt: Er wendet sich nie von großer Liebe (mahā-maitrī) ab,
er lässt großes Mitgefühl (mahā-karuṇā) niemals fahren.
Er fasst tiefgründige Gelübde und strebt unbeirrt nach vollkommener Weisheit –
ohne je einen einzigen Moment zu vergessen.
Er belehrt und führt fühlende Wesen,
ohne jemals müde oder überdrüssig zu werden.
Er erinnert sich stetig an die vier Arten, Wesen zu gewinnen:
freigebige Gabe (dāna), freundliche Sprache (priyavacana),
heilsames Handeln (arthakriyā) und gemeinsames Wirken (samānārthatā).
Er schreckt nicht davor zurück, selbst Leib und Leben hinzugeben,
um die rechte Lehre des Buddha zu schützen.
Er übt eifrig und unermüdlich,
um die Wurzeln aller heilsamen Dharmas zu kultivieren.
Mit fester Entschlossenheit verweilt er stets in allen verdienstvollen Praktiken.
Durch geschickte Mittel (upāya) widmet er alle Verdienste dem Heil der fühlenden Wesen.
Er sucht unermüdlich nach den Lehren des Buddha,
und lehrt sie freigebig ohne Zurückhaltung.
Er verehrt die Buddhas mit Hingabe und ohne Erschöpfung.
Er lässt sich absichtlich in den Kreislauf von Geburt und Tod fallen –
ohne Furcht.“
Gegenüber weltlichem Ruhm und Schande soll man gelassen bleiben,
ohne sich von Trauer oder Freude bewegen zu lassen.
Man soll jene, die den Dharma noch nicht kennengelernt haben, nicht geringschätzen,
und gegenüber den Praktizierenden soll man Ehrfurcht haben wie gegenüber dem Buddha.
Gegenüber denjenigen, die in Verwirrung und Leid gefangen sind,
soll man sie zur rechten Erkenntnis führen.
Wenn jemand sich dem Hausleben entzieht und das Entsagungsleben wählt,
soll man sich nicht überlegen fühlen.
Man soll nicht an der eigenen Freude in der Meditation anhaften,
sondern sich vielmehr über das Glück anderer freuen, wenn sie das Leid überwinden.
Wenn man an den verschiedenen Freuden der Meditation anhaftet,
ist das nicht viel anders, als würde man in die Hölle stürzen.
Den Kreislauf von Geburt und Tod sollte man betrachten
wie einen Spaziergang durch einen Garten – ein Weg des Betrachtens.
Wenn man jemandem begegnet, der nach dem Dharma fragt,
soll man ihn wie einen guten Lehrer oder hilfreichen Freund ansehen.
Man soll alle Anhaftung des Geistes aufgeben,
und in der Erkenntnis verweilen, dass selbst die Allwissenheit nichts zu erlangen ist.
Wenn man jemanden sieht, der Gebote bricht oder verletzt hat,
soll man das Mitgefühl entwickeln, ihn zu retten und zu helfen.
Man soll die sechs Pāramitās als Vater und Mutter des Dharmakāya betrachten,
und die siebenunddreißig Hilfsmittel zur Erleuchtung (bodhipākṣika-dharmas)
als hilfreiche Verwandte auf dem Weg ansehen.
Die Grundlage der heilsamen Praxis soll ohne Grenzen und Maß sein.
Die vielfältigen Reinigungspraktiken zum Aufbau eines reinen Buddha-Landes
dienen der Ausschmückung und Vollendung des eigenen künftigen Buddha-Landes.
Wer das grenzenlose Geben des Dharma praktiziert,
wird sich mit allen Tugenden und Merkmalen schmücken.
Selbst wenn man alle schlechten Taten überwunden und
Körper, Rede und Geist vollkommen gereinigt hat,
so wird man dennoch durch unzählige Äonen im Kreislauf von Geburt und Tod verweilen,
aus mitfühlendem Mut – um alle fühlenden Wesen zu retten.
Wenn man vom langen Leben des Buddha hört,
und auch nur einen einzigen Gedanken des Glaubens und Verstehens hervorbringt,
so ist das Verdienst, das man erlangt, grenzenlos und ohne Maß.
Man soll den festen Entschluss fassen, den Weg ohne Ermüdung zu verfolgen.
Mit dem scharfen Schwert der Weisheit
soll man die Diebe der Verblendung zerschlagen.
Man soll gegen die fünf Skandhas, die achtzehn Bereiche und die zwölf Sinnesgrundlagen kämpfen,
um die Verantwortung zu übernehmen, alle Wesen zur Befreiung zu führen.
Mit der Kraft mutigen und kraftvollen Strebens
soll man die Dämonenarmee der Verblendung bezwingen und niederwerfen.
Man soll stets danach streben, ohne ablenkende Gedanken zu verweilen,
und in die Wirklichkeit (tathatā) der Weisheit eintreten.
Man soll Genügsamkeit und das Streben nach Wenigem praktizieren,
ohne jedoch das Mitgefühl für die Welt aufzugeben.
Man soll das Auftreten und die Würde eines Bodhisattva wahren,
und sich zugleich den Sitten und Gebräuchen der Welt anpassen können.
Man soll mit übernatürlichen Kräften, geschickten Mitteln und Weisheit
die Wesen anziehen und belehren.
Man soll die Kraft starker Erinnerung erlangen
und durch das Tor des totalen Gedächtnisses (dhāraṇī) in alle Dharmas eintreten.
Man soll das Gehörte niemals vergessen.
Man soll geschickt erkennen, ob die Sinne und Erkenntnisfähigkeiten der Lebewesen scharf oder stumpf sind,
und entsprechend ihrem Vermögen den Dharma lehren, um ihre Zweifel zu beseitigen.
Man soll mit freudiger Redegewandtheit den Dharma unermesslich und uneingeschränkt verkünden.
Wer fleißig die zehn heilsamen Taten praktiziert,
wird das Glück einer Wiedergeburt als Himmelswesen oder Mensch erlangen.
Wer die vier unermesslichen Geisteshaltungen –
liebende Güte, Mitgefühl, Mitfreude und Gleichmut – übt,
öffnet den Weg zur Brahma-Welt.
Wenn man den Weltverehrten (den Buddha) ermutigt, den Dharma zu lehren,
und dabei im Herzen Freude, Lob und Zustimmung empfindet,
so wird man, wenn man die reine Lehre des Tathāgata hört,
im Körper, in der Rede und im Geist alle guten Werke mehren.
Wer die Haltung und den Auftritt aller Buddhas erlangen will,
soll tiefgründig und eifrig die guten Taten kultivieren;
dann werden die Handlungen stetig besser und edler.
Man soll die Lehre des Mahāyāna verkünden
und ein Mönch sein, der den Bodhisattva-Weg verwirklicht.
Man soll Körper und Geist sorgfältig bewahren und niemals nachlässig sein,
damit kein einziges Verdienst verloren geht.
Wer diese Lehre so praktiziert,
der wird ein Bodhisattva sein, der unaufhörlich die heilsamen Handlungen vollbringt.
„Und was bedeutet es, dass ein Bodhisattva nicht im Nicht-Handeln verweilt?
Das heißt: Obwohl er die Leerheit studiert hat, darf er die Leerheit nicht als endgültige Verwirklichung nehmen;
obwohl er das Ungeprägte, das Nicht-Handeln erkannt hat, darf er diese nicht als endgültige Verwirklichung nehmen;
obwohl er das Nicht-Entstehen erkannt hat, darf er es nicht als endgültige Verwirklichung nehmen;
obwohl er die Vergänglichkeit aller Phänomene betrachtet, verabscheut er die Vergänglichkeit nicht, sondern pflanzt beständig die Wurzel des Guten;
obwohl er das Leiden in der Welt erkennt, verabscheut er es nicht, sondern wandert weiterhin im Kreislauf von Geburt und Tod;
obwohl er das Nicht-Selbst aller Dinge erkennt, ist er nicht müde und lehrt weiterhin die Wesen;
obwohl er alle Erscheinungen als Erlöschen betrachtet, verweilt er nicht dauerhaft im Nirvana;
wenn er die Freude betrachtet, sich von der Menge zu entfernen, soll er Körper und Geist darin üben und eifrig tätig sein;
wenn er sieht, dass alle Phänomene ins Nirgendwo zurückkehren, soll er dennoch alle guten Taten als sein Ziel nehmen;
wenn er die Geduld gegenüber der unentstehenden Natur der Phänomene erlangt, soll er dennoch alle Lebewesen tragen und schützen;
wenn er die vollkommene Befreiung ohne Fehler erreicht, soll er dennoch unaufhörlich die Hindernisse der Leidenschaften überwinden;
wenn er die Praxis der sechs Vollkommenheiten (Pāramitās) als Nicht-Praxis erkennt, soll er dennoch mit Praxis die Wesen lehren;
obwohl er die bedingte Entstehung und Leerheit aller Phänomene betrachtet, soll er der Natur des Dharma folgen und das große Mitgefühl nicht aufgeben;
obwohl er die Wirklichkeit der wahren Lehre verwirklicht, soll er nicht dem Kleinen Fahrzeug folgen und hastig nach Verwirklichung streben.“
Obwohl ein Bodhisattva erkennt, dass alle Phänomene leer, unwirklich wie eine Illusion sind, ohne eigene Natur oder Substanz, ohne Festigkeit, ohne ein Selbst oder einen Eigentümer, ohne äußere Erscheinung, gibt er dennoch die Praxis von Verdienst, Meditation und Weisheit nicht auf, solange das grundlegende Gelübde, alle Wesen zu retten, nicht erfüllt ist. Wer meine Lehre so praktiziert, das nennt man den Bodhisattva, der im Nicht-Verweilen im Nicht-Handeln steht.“
„Zusammenfassend gilt:
Ein Bodhisattva, um Verdienst zu vervollkommnen, muss Wesen retten und daher das Nicht-Verweilen im Nicht-Handeln üben;
um vollkommene Weisheit (Prajñā) zu erlangen, übt er das Nicht-Endliche Handeln.
Ein Bodhisattva, aus großem Mitgefühl gegenüber Wesen, übt das Nicht-Verweilen im Nicht-Handeln;
um sein Gelübde zur Erlösung aller Wesen zu erfüllen, übt er das Nicht-Endliche Handeln.
Ein Bodhisattva, um das Dharma-Medikament zu sammeln, das die drei Gifte heilt, übt das Nicht-Verweilen im Nicht-Handeln;
um den Wesen gemäß ihrer Krankheit Dharma-Medikamente zu geben, übt er das Nicht-Endliche Handeln.
Ein Bodhisattva, um die Ursachen des Leidens der Wesen zu erkennen, übt das Nicht-Verweilen im Nicht-Handeln;
um die Leiden der Wesen zu beseitigen, übt er das Nicht-Endliche Handeln.
Oh ihr großen Sucher des rechten Pfades! Der Bodhisattva übt vollständig sowohl das Nicht-Endliche Handeln als auch das Nicht-Verweilen im Nicht-Handeln; dies sind die zwei Pfade der endlichen und unendlichen Befreiung, die ihr gründlich lernen sollt!“
Zu diesem Zeitpunkt, nachdem die Bodhisattvas aus dem Land des Wohlgeruchs diese Lehre vernommen hatten, waren sie alle voller Freude. Sie verstreuten daraufhin verschiedene wunderbare Blumen in allen Farben und Düften über die gesamte Drei-Tausend-Große-Welt (Trisāhasra-mahāsāhasra-lokadhātu) als Opfergabe an den Buddha und an diese Lehrweisheit. Gleichzeitig brachten sie auch allen Bodhisattvas der Versammlung Opfer dar. Dann verneigten sie sich ehrerbietig vor den Füßen des Buddha, lobten die beispiellose Lehre und priesen Shakyamuni Buddha als den einzigen Erlöser, der in dieser Welt des Leidens mit geschickten Mitteln wirkt. Nachdem sie dies gesagt hatten, verschwanden sie plötzlich und kehrten in ihr Land des Wohlgeruchs zurück.